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Bundesarbeitsgericht: Erreichbarkeit nach Feierabend kann rechtens sein
Neues Urteil des BAG
Nach der Arbeit genießen abhängig Beschäftigte ihre Freizeit – so weit, so einleuchtend. Allerdings haben Arbeitnehmer nicht in allen Fällen ein uneingeschränktes Recht darauf, nach Feierabend nicht erreichbar zu sein. Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt.
Es gibt Situationen, in denen Arbeitnehmer auch außerhalb ihrer regulären Arbeitszeiten erreichbar sein müssen, allerdings nur unter bestimmten Bedingungen. So haben es die Richter des BAG kürzlich festgestellt und verdeutlicht, dass diese Ausnahmesituationen das Recht von Beschäftigten auf Freizeit nach Arbeitsschluss nicht grundsätzlich einschränken.
Der Fall vor dem BAG
Konkret wurde der Fall eines Notfallsanitäters verhandelt, der bei einem Rettungsdienst in Schleswig-Holstein arbeitete und gelegentliche Einsätze als "Springer" zu absolvieren hatte. Die Arbeitszeiten wurden durch eine umfangreiche Betriebsvereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat geregelt. Die Vereinbarung sah vor, dass die Springer-Dienste spätestens vier Tage im Voraus festgelegt wurden und die konkrete zeitliche und örtliche Ausgestaltung bis 20.00 Uhr am Vortag zu erfolgen hatte.
Im verhandelten Fall kam es diesbezüglich zweimal zu Problemen: Der Arbeitgeber versuchte jeweils, den Sanitäter an den Tagen vor den Springer-Diensten über den Dienstbeginn zu informieren, doch der Beschäftigte reagierte weder auf E-Mails noch auf SMS oder Anrufe. In der Folge kam er zweimal zu spät zur Arbeit und erschien einmal am falschen Ort, woraufhin er nach Hause geschickt wurde. Als Reaktion kürzte der Arbeitgeber das Arbeitszeitguthaben des Notfallsanitäters entsprechend und erteilte ihm zudem eine Abmahnung. Gegen diese Maßnahmen klagte der Mann.
Der Rechtsstreit führte vom Arbeitsgericht Meldorf zunächst zum Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, welches zu dem Schluss kam, der Sanitäter sei in seinen Rechten verletzt worden. Die Landesrichter argumentierten, das Lesen einer dienstlichen SMS könne als Arbeitsleistung betrachtet werden, auch wenn der Zeitaufwand minimal sei. Deshalb stehe dem Sanitäter ein Recht auf Nichterreichbarkeit in seiner Freizeit zu, selbst wenn er nicht auf Anrufe reagiert oder seine SMS liest. Daher seien sowohl die Kürzung des Arbeitszeitguthabens als auch die Abmahnung ungerechtfertigt.
Das Urteil des Gerichts
Diese Entscheidung wurde nun vom Bundesarbeitsgericht aufgehoben. Die oberste Instanz sah es als arbeitsvertragliche Nebenpflicht des Notfallsanitäters an, sich über zugeteilte Dienste zu informieren, auch außerhalb seiner regulären Arbeitszeit. Diese Pflicht leiteten die Richter aus der genannten Betriebsvereinbarung ab, welche die Konkretisierung der Springer-Einsätze bis zum Vortag ermöglichte. Das Lesen der SMS des Arbeitgebers sei so geringfügig, dass es die Ruhezeit nicht beeinträchtige. Dem BAG-Urteil zufolge sind die Kürzung des Arbeitszeitguthabens und die Abmahnung zurecht erfolgt.
Fazit für Beschäftigte
Die Erreichbarkeit von Arbeitnehmern in der Freizeit kann zur Pflicht werden, wenn es eine entsprechende Vertragsgrundlage gibt. Beschäftigte können sich nicht einfach darauf zurückziehen, die Belange des Betriebs gingen sie nach Feierabend nichts mehr an. Dennoch können Arbeitgeber eine uneingeschränkte Erreichbarkeit und sofortige Antworten ihrer Beschäftigten nicht erwarten - die geforderte Erreichbarkeit darf die Ruhezeit nicht beeinträchtigen. Im vorliegenden Fall des Notfallsanitäters war von großer Bedeutung, dass die Arbeitszeiten als Springer zumindest ungefähr festgelegt waren, bevor der Dienst beginnen sollte.
Quelle: Bundesarbeitsgericht, Urteil mit Az. 5 AZR 349/22